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Freitag, 6. März 2015

Lesung: Cornelia Funke - Reckless - Das goldene Garn


Gestern Abend begann in der Bremer "Glocke" die Lesetour zum dritten "Reckless"-Band von Cornelia Funke aus dem Dressler-Verlag. Es wird wohl kaum jemanden geben, der in den letzten Jahren nicht auf die eine oder andere Weise Kontakt zu ihren Büchern, wie "Die Wilden Hühner", "Tintenherz" oder "Herr der Diebe" hatte. Dies ist natürlich auch bei mir der Fall. Trotzdem musste mich eine gute Freundin erst mit der Nase auf diese Veranstaltung stoßen. Es war für mich sofort klar, dass ich zu dieser Lesung musste. Direkt ab in die Innenstadt und auf einigen Thalia-internen Umwegen konnte ich uns tatsächlich Plätze in der vierten Reihe sichern.


Bei unserem Eintreffen war das Foyer der Glocke schon mit Signiertisch und Bücherstand der Bremer Thalia-Filiale auf das Thema des Abends eingestimmt. Es füllte sich schnell und endlich wurde auch der kleine Saal geöffnet. Die fantasievoll dekorierte Bühne wartete mit den zahlreichen Gästen auf die Hauptperson des Abends. Das Fernsehteam von Radio Bremen suchte sich hektisch die passenden "Opfer" im Publikum für Großaufnahmen.

Kurz nach 18.00 Uhr betrat nach einer kurzen Begrüßung durch Jörgpeter von Clarenau, die Bühne. Seine kurze Einleitung erhöhte noch einmal die Spannung. Schließlich war es soweit: Unter anhaltendem Applaus erschien Cornelia Funke in der Tür.
eine Thalia-Mitarbeiterin der Moderator des Abends, der NDR-Hörspiel-Redakteur

Zunächst musste noch die Frage geklärt werden, wer denn schon alles Reckless-Bücher, bzw. ältere Werke gelesen hatte. Nicht überraschend, dass dies auf einen Großteil der altersmäßig bunt gemischten Zuhörerschaft zutraf. Ich konnte vor mir nur einen jungen Mann entdecken, der wohl von seiner Freundin mitgeschleppt wurde und zugab noch nichts von Cornelia gelesen zu haben.

Zu guter Letzt kamen die beiden auf das Skizzenbuch in Jörgpeters Hand zu sprechen und somit auf das, womit sich Cornelia zur Zeit beschäftigt. Anfang 2016 wird wahrscheinlich das nächste Buch für etwas jüngere LeserInnen erscheinen, den Nachfolger von Drachenreiter. Sie gewährte einen Blick auf eine Doppelseite, die auf der einen Hälfte eine grandiose Skizze zeigte und auf der anderen die Erstfassung des Textes enthielt. Inzwischen haben sich bei ihr schon um die 40 Skizzenbücher gesammelt, nachdem sie in einem Urlaub begann, ihre Geschichten wieder per Hand zu schreiben. Gleichzeitig ein Tipp an alle angehenden Autoren, die ihre erste Fassung auch niederschreiben sollen, bevor sie sie später in den Computer korrigiert übertragen.

Nachdem ihre Karriere als Illustratorin für andere Autoren begann, habe das Pendel irgendwann die Kreativität auf das Schreiben gelenkt, erzählte Cornelia. In letzter Zeit komme dem Zeichnen wieder eine größere Rolle zu. Es habe sich so etwas wie ein Gleichgewicht "eingependelt", erklärte sie die großflächige Skizze.

Selbstverständlich ist dies aber noch keine Endfassung. Dafür wird der "Rohling" noch mehrfach überarbeitet. Beim Überarbeiten käme ihr immer wieder die Frage in den Sinn "Wie kommt es eigentlich, dass du dich Schriftstellerin nennen darfst?". So hölzern komme ihr ihr eigener Stil vor.

Dann war es Zeit, die Stimme hinter den Reckless-Hörbüchern auf die Bühne zu bitten. Schauspieler Rainer Strecker, den viele aus Einsatz in Hamburg und weiteren Krimirollen kennen dürften, nahm den Platz zwischen den beiden ein und nach einer kurzen Vorstellung begann der erste Leseabschnitt, den Rainer und Cornelia zu gleichen Teilen bestritten.

Zur Einstimmung erklang die Titelmusik des Hörbuchs vom Chemusic Team, die passend zur Buchthematik diesmal östliche Einflüsse zeigt. Dieser erste Wow-Effekt wurde nur noch durch die klasse passenden Rollenwechsel und die angenehme Lesestimme Cornelias und die von den bisherigen Hörbücher bekannte Stimme Rainers getoppt, der mit seinen unterschiedlichen Interpretationen der einzelnen Charaktere sogar seine Lesepartnerin lachend aus ihrer Rolle riss. Ein Wunder, wie viele Seiten sich doch in einer Person vereinen können, denen nicht nur Jörgpeter andächtig lauschte.

In den insgesamt drei Leseabschnitten werden uns die verschiedenen Charaktere Jacob, Will und Fuchs präsentiert, es gibt spannende und äußerst unterhaltsame Momente und die Neugier auf den dritten Band dürfte bei jedem gestiegen sein, der das Buch noch nicht verschlungen hatte. Da ich ungern spoilere, werde ich nichts verraten, außer dass es wieder spannend zugeht und viel Neues darauf wartet, von den LeserInnen entdeckt zu werden.





Nach dem ersten Teil der Lesung zogen sich die Drei in die kleine Sitzecke zurück und Jörgpeters Fragen brachten uns Cornelia und ihr Werk näher. Es ging um eher mit Vorsicht zu genießende filmische Umsetzungen, ihre Art zu Schreiben und ihre Werke. 

Verfilmungen seien immer wieder schmerzhaft, weil vieles wegen der Kosten oder anderer Faktoren unter den Tisch fielen. Sie favorisiert das Hörspiel, weil hier die Stimmen das Kopfkino ergänzen. 

Besonders, wenn es sich bei den Sprechern um solche Könner, wie Rainer handelt. Dieser erwiderte auf die Frage, wie er sich denn die verschiedenen Eigenarten der Personen merken könne bis zum nächsten Buch - er habe ja schließlich auch andere Aufträge -, dass sei ganz einfach: Er hört sich das vorhergehende Buch noch einmal an. Als notorischer "Wortverdreher" beginnt seine Arbeit bereits mit einem intensiven Lesen der Kapitel. Er gehe diese meistens mehrfach durch, bis alles sitzt. Pro Tag schaffe er ungefähr 1-2 CDs in ca. 6-8 Stunden. "Wir leiden beide wohl zeitweise unter "Wortüberfluss"", kommentierte Cornelia den Zustand, der sich für ihn nach einem solchen Lesemarathon einstellt. Was für ihn eine Dokumentation, dient für sie Musik als das Mittel zum Abschalten und Entspannen. 

Ein unterhaltsamer Überblick, der mit einer Facebook-Frage endete, die auf die später folgende Fragerunde mit dem Publikum einstimmen sollte. Die Reckless-Reihe wende sich ja an ein eher älteres Publikum. Ob es denn auch wieder etwas für die Jüngeren geben werde. Das konnte sie mit Hinweis auf das Skizzenbuch vom Anfang bejahen. Sie habe jetzt auch wieder kleine Kinder in der Familie, was die Anregungen für solche Bücher gebe. Aber grundsätzlich werde sie es nie allen Recht machen können.


Die Fragerunde wurde von den Gästen reichlich genutzt und neben ganz jungen Fans, für die Reckless noch nicht der richtige Lesestoff sein dürfte ("Erst mit mindestens 14 Jahren sollte man das erste Mal hinter den Spiegel gehen") und die Fragen zu Charakteren, Skizzen und dem Weg zum fertigen Buch stellten, fanden sich auch älteren Leserinnen, die Fragen zum eigenen Schreiben stellten. Hier erfuhren wir, dass für Cornelia der Ort selbst als Person verstanden wird. So hat ausgerechnet der rote Platz in Moskau viel mit dem "Goldenen Garn" zu tun. Überhaupt müsse man die Idee zunächst mit Realität "füttern", damit sie lebendig wird. Sie verglich ihren Schreibtisch mit einer Bühne, auf der sich viele Ideen wie Figuren tummelten. Jede schreie "Nimm mich, nimm mich." Doch erst, wenn sie sich eine davon herausgepickt habe (oder die anderen vom Tisch gestoßen habe), würde sich herausstellen, ob sie für einen Roman oder doch eher nur für eine Kurzgeschichte tauge. 

Und ja: vieles ihrer Charaktere ist dem echten Leben entnommen. So habe sie - nichtsahnend, dass sie heute mit ihm befreundet sein könnte -  Brendan Frazer als Vorbild für Tintenherz gehabt. Sehr verwirrend, wenn die Figur dann doch  nicht das tun würde, was das reale Vorbild tun würde. Deshalb nimmt sie heutzutage nur noch Fotos aus alter Zeit. Auf diesem Wege ist sie auch von ihrer Vorliebe für das Mittelalter (Lieblingsbücher "The Princess Bride" und "Der König von Camelot") auf das 19. Jahrhundert gekommen.

Eine Schreibhemmung kenne sie nicht. Wenn die Geschichte an einen toten Punkt angekommen sei, dann habe sie eine der Figuren sie nur in die Irre geführt. Dann müsse man überlegen, wo sich diese gerade befinde, wie die Umgebung aussehe, wie es dort riecht usw. - eben mit Realität füttern. Dann komme die Geschichte von ganz alleine wieder in Fluss.

Diese bildgewaltigen Schilderungen, die so ganz zum Bild der geborenen Erzählerin passen, machten diese Runde zu einem rundum gelungenen und spannenden Abschnitt, der dank zweier Fragen, die ihr noch nie gestellt worden seien, sogar Cornelia zum Grübeln brachte. Unterhaltsam ging das Frage-Antwort-Spiel weiter und endete mit einem begeisterten Publikum, dessen Fragen alle ausführlich und ernsthaft beantwortet wurden.

Es folgte der letzte Leseabschnitt und einem französisch sprechenden Charakter, den man einfach nicht wieder vergessen kann. Somit waren dann auch gut zwei Stunden  wie im Fluge vergangen und unter anhaltenden Applaus endete die Begegnung mit dem dritten Reckless Band.

Wie zuvor angekündigt folgte nun eine Signierstunde, in der die Bücher ausnahmsweise mit namentlicher Erwähnung versehen wurden. So verwunderte es nicht, dass sich eine lange Schlange bildete, an deren beinahe Ende ich mich wiederfand, da ich doch noch kurz die liebevoll gestaltete Bühne fotografieren wollte.

Langsam aber sicher näherte ich mich bewaffnet mit dem dritten Band dem Signiertisch. Neben alten und neuen Büchern konnte man sich noch Autogrammkarten und Poster signieren lassen und jeder Wunsch wurde geduldig von Cornelia und Rainer erfüllt. So war es dann auch knapp vor 21.00 Uhr, als ich meine Souvenire ergattert hatte und der Heimweg durch die kühle Nacht beginnen konnte.


Ein Fazit über diese hervorragende Lesung zu ziehen ist einfach. Ich kann nur jedem Empfehlen, die Chance zu nutzen, Cornelia Funke einmal live zu erleben. Sie ist durch und durch eine Erzählerin im besten Sinne des Wortes, die neben dem Schreiben und Zeichnen viele weitere Talente hat. 

Gleichfalls genial war es, Rainer Strecker in Aktion zu sehen und mitzuerleben, wie er den Charakteren Leben einhaucht und ihnen ihre markanten Stimmen gibt. Ich weiß schon, wer mich auf den nächsten Autofahrten auf dem CD-Spieler begleiten wird.

Nachdem heute Hamburg Ziel der Lesereise war, gibt es morgen in Berlin und übermorgen in Leipzig noch die Chance, die Lesung live zu erleben. Da Radio Bremen und das ZDF Aufnahmen gemacht hat, dürfte auch im Fernsehen darüber berichtet werden (Link zum RB-Beitrag und zum ZDF heute). Habt ihr nicht die Chance, dann greift nach Buch oder Hörbuch und lasst euch in die Spiegelwelten entführen, vielleicht begegnen wir uns dort.


Weitere Bilder der Lesung findet ihr auf Facebook oder Flickr.
Außerdem ist die englischsprachige Mirrorworld-Seite und zugehörige App zu empfehlen, die euch mit weiteren Hintergrundinfos versorgt.

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